Rückblickend stand das Jahr 2019 zwar nicht nur, aber auch deutlich unter dem „Krisenstern“. Ob durch eigene oder durch mein berufliches, ehrenamtliches, wie privates Umfeld wurde ich für mein Empfinden vielfach mit ausgewachsenen Krisenphänomenen konfrontiert. Zumindest fiel der Begriff „Krise“ ständig. (Einfügung in 2022: damals gab es Corona noch garnicht, als auch keinen Krieg in der Ukraine durch Russland oder einen verheerend trockenen Sommer oder Überschwemmungen im Ahrtal.)

Es passiert oft, dass man selbst, oder Menschen die einem nahe sind, entweder durch einen unerwarteten Schlag getroffen oder schon seit Jahren in Krisensituationen stecken, oder sich irgendwie selbst in Krisen hinein manövriert haben. Erstere haben oft den Geschmack der Ohnmacht, der Fassungslosigkeit. Letzteres den ebenso schwer aushaltbaren Beigeschmack von Schuld und Unzulänglichkeit. Man fühlt sich in jedem Fall schlecht.

Schlimme Krankheiten, Schulden, Beziehungschaos, Unfälle, Gewalt, Naturkatastrophen, Krieg, Flucht, Betrug, der Moment, wo man aus einer Illusion erwacht und die Realität, oder besser gesagt „eine andere Wahrheit“ einem ins Gesicht schlägt. All das passt für mich definitiv zu dem Phänomen, was wir als „Krise“ bezeichnen.

Ich habe durch die geballten Begegnungen mit Krisenbetroffenheit in diesem Jahr quasi wie in einem „Mega-Intensivlehrgang“ wieder einmal mehr verschiedene (verschieden, weil Krisen immer, wenn auch manchmal gar nur in Nuancen, unterschiedlich erlebt werden! Es gibt niemals ein „genauso“) Ausprägungen und Nebenwirkungen kennengelernt und besser verstanden: Leid, Überwältigt-sein, Ohnmacht, Not, Hilflosigkeit, Ängste, Paniken, Ärger. Darunter die nahezu unerträgliche Erkenntnis, dass man das fühlen muss, was so gar nicht zu unserem eigentlichen Selbstbild oder gar, wie wir uns unser Leben idealerweise vorstellen, passt. Einer der schlimmsten Spitzen, wenn Du zweifelst, ob Du das schaffst, das überleben wirst!?

Allgemein gesehen wird nicht zuletzt gesellschaftlich bedingt hoch gelobt, wer „die Dinge im Griff hat“, erfolgreich ist, ja, souverän dem Leben begegnet. Wer will schon das Gegenteil „sein“? Die Realität ist auch, dass das Leben ist, wie die hohe See! Eben nur bedingt berechenbar und nicht immer einladend schön, sondern auch mal rau, gefährlich, überwältigend. Niemand ist der geborene oder gar perfekte Kapitän für alle Wetterlagen oder durch alle Gebiete… und manche Boote scheinen für eine allzu hohe, grässliche gellende See nicht gemacht und geraten manövrierunfähig genau da rein!

Mir scheint, als bliebe immer etwas übrig, wenn eine Krise, oder die Spitzen einer  persönlichen Krisenzeit überwunden wird: es bleibt eine Art Wunde, eine Stelle der Verletzlichkeit. Wenn ich mich dieser Stelle zuwende, dann schmerzt es auch Monate, Jahre später, noch auf gleiche Art. So ist diese Erfahrung belegt. Und es bleibt eine weitere Gewissheit: Krisen können überwunden werden! Sie bleiben nicht „für immer“. Zumindest nicht für immer „gleich“. Das schlechte Gefühl, die geschmolzene Zuversicht und Hoffnung, oder was auch immer da jeweils empfunden wurde: es verändert sich. Die Zuversicht, ein gutes Gefühl kehrt zurück, Schönes wird wieder gesehen, der Wert des Lebens und der eigenen Möglichkeiten wird wiederentdeckt und manchmal sogar in viel schönerer Blüte wahrgenommen, aber vor allem, die Erkenntnis selbst die Kraft und Möglichkeiten zu haben, Krisen durchzustehen, zu überleben! Welch guter Anker!

Nur durch Erfahrung lernen wir.

Mich fasziniert und beeindruckt, wie wir aus Krisensituationen erwachsen können. Wie es möglich wird, in einem guten, sprich akzeptierenden, mit aushaltenden und überzeugt zutrauenden, aber auch manchmal einfach ganz unkonventionell anpackenden Umfeld Krisen zu überwinden und sich selbst besser kennenzulernen: mit allen schwachen, wie starken Momenten.

Zu sich zu kommen, während und nach einer Krise, bedeutet das volle Leben zu verstehen. Der Blick auf: wer und was ist mir wichtig, wie will ich leben, was brauche ich? Wie will ich mit meinem Umfeld sein? wird klarer.  Diese Entwicklung ist auch abhängig davon, dass ich ein Gegenüber habe, dass mir Sicherheit gibt, Zuversicht und mich durchleben lässt, was eben gerade ist, ohne es mir wegmachen zu wollen, sondern es mir zu lassen auf meine Art!  Den Wellen und Wogen, den Stürmen zu trotzen, geht mit einem Matrosen an der Seite oder gar einer ganzen Horde Schiffscrewmitglieder viel leichter von der Hand, zumindest ist es erträglicher. Und es braucht unbedingt: Zeit,.. Geduld.. Wie Rilke umschrieb (wenn auch in anderem Bezug): Man muss Geduld haben. Mit dem Ungelösten im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben, und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.  

Krisen sind nicht schön und es gibt sie. Immer wieder. UND: daneben, danach, dazwischen gibt es Überwindung, Entwicklung und nicht selten das Gefühl: wow, die Krise war zur Zeit selbst echt Horror, aber sie war auch wichtig für mich! Nur dadurch habe ich w oder x verstanden und y und z gewonnen! Und jetzt hab ich gerade mal Krisenpause! So!

Ich verstehe es als guten Auftrag, offen und neugierig zu bleiben, zugewandt zu sein für das, was „ist“.  Sich eigenen Krisen zu stellen oder als starkes „Dabei“ den zu stützen, der gerade durch Krisen gehen muss. Nicht allein zu sein in der Krisenzeit, erwärmt die Herzen und das Gemüt und lässt Kälte und Einsamkeit besser ertragen. Vielleicht die täglichen Krisen der Welt sogar besser aushalten? Kann ich nicht sagen. Kommt wohl drauf an. Eine Erkenntnis ist: wir sind nicht umsonst „Soziale Wesen“.

Manche Krisenauslöser würde ich Menschen so gerne ersparen, alle eindeutig fremd-gemachten beispielsweise. Aber ich glaube wirklich fest daran, und habe „Beweise“ durch all das, was ich Erleben durfte und darf, mit Menschen da draußen, dass wir ganz schön hart im nehmen sind, viel mehr aushalten, als wir manchmal glauben!!

Ich liebe auch mal die ruhige See vom Rand betrachtet: vom Strand.. also auch mal Ruhepausen, Auszeiten. Atmen. Daher hab ich dies Bild dazu gewählt: mal ein einziger Tag am Strand und die Weite tuen gut.

 

 

 

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